Jeder Besuch im Botanischen Garten ist interessant. Es können mit jedem Rundgang Pflanzen entdeckt werden, denen bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. So ist es mir mit dem Tränengras (Coix lacryma-jobi) ergangen. Bekannt ist die Pflanze, die zu der Familie der Süßgräser gehört, auch unter den Namen Hiobstränengras, Christusträne, Chinesische Perlengerste oder Großer Steinsamen.
Die Hiobsträne ist eine tropische Getreidepflanze, die in Ostasien, der Malaysischen Halbinsel, den USA, Süd- und Mittelamerika beheimatet ist. Es ist eine einjährige Pflanze, die feste, verzweigte Halme aufweist, die aufrecht stehen und 1 bis 2 m hoch werden können. Die Blätter sind relativ breit und ähneln Maisblättern.
Die Pflanze bildet bis zu 4 cm lange Rispen, die rein männliche Blüten aufweisen (unsere Gräser und Getreidepflanzen enthalten in den kleinen Ährchen männliche und weibliche Blüten). Am Grunde der Rispe steht eine einzelne weibliche Blüte. Sie wird vom Tragblatt des Blütenstandes umhüllt und bildet einen Schlauch. Dieser verhärtet sich zur Fruchtreife, ist eiförmig bis zylindrisch, 7 bis 11 mm lang, 6 bis 10 mm breit und weist eine weiße, bläuliche oder grau-braune Farbe auf. Die Blütezeit ist relativ spät, so dass die Samen erst im Herbst geerntet werden.
Seit der Antike wird die Hiobsträne als Zierpflanze angebaut. Auch in unseren Breiten wächst diese interessante und wertvolle Pflanze. Die Vermehrung erfolgt durch Samen. Bei Außentemperaturen von 13 bis 16 ºC können die Samen im Frühjahr ausgebracht werden. Die Pflanzen lieben Sonne und einen feuchten Standort. Die Gefahr von Mehltaubefall ist groß.
In der traditionellen Medizin Asiens hat die Hiobsträne schon lange Bedeutung. Genutzt wird die grüne Pflanze und der Samen. In den Samen sind als Inhaltsstoffe vor allem Stärke (50 bis 60 %), Proteine (ca. 18 %) und Fette (5 bis 10 %). Die Samen werden entweder frisch, geröstet, gekocht oder gepulvert verwendet. Sie können wie Gerste als Bier gebraut oder geröstet zu Kaffee vermahlen werden. Ein aus den Samen gewonnenes Mehl ist ein wertvolles Nahrungsmittel und wird auch zum Brotbacken genutzt.
In der Volksmedizin hilft die Pflanze zur Linderung bei Entzündungen (Katarrhen und Harnwegen), bei Rheuma und Arthritis. Die Inhaltsstoffe sollen fiebersenkend, bakterizid und fungizid wirken sowie die Milz und das Verdauungssystem stärken. Auch wirkt die Pflanze harntreibend und beim Entgiften des Körpers. Wurzelextrakte helfen gegen Darmparasiten und die Blätter der Pflanze bei Zahnschmerzen. Der Duft des Tees erinnert an Haferbrei.
Die Samen sehen sehr hübsch aus und gleichen Holzperlen. So werden sie zu Halsketten oder Armbändern aufgefädelt und zu Rosenkränzen verarbeitet. Auch die getrocknete Pflanze ist sehr dekorativ und wird gern in der Floristik verwendet. Ihre Schönheit faszinierte auch Leonardo da Vinci, der um 1515 Abbildungen erstellte.
Ich denke, dass Sie diese Pflanze auch in diesem Jahr wieder in der Systematik sehen können.
Dr. Hannelore Pohl